Vorwort: Dieser Artikel enthält hübschen Blumenbilder. Der Text ist eher deprimierend.
Wie lange sind wir jetzt schon damit beschäftigt, uns selbst von anderen zu isolieren, weil der Virus grassiert? Am 9. März waren wir beim letzten Trekdinner, danach haben wir eigentlich mit anderen Menschen nur noch auf Abstand gesprochen, auch wenn wir den ein oder anderen Spaziergang gewagt haben. Einkaufen war ich nicht mehr seit letzter Woche. Es wurde also sowieso mal wieder Zeit.
Die Mutter ist alleine auf dem Dorf und kann alleine nicht einkaufen gehen. Zettel eingesammelt und dann zum $Discounter, die rechte Hand, die den Einkaufswagen anfassen muss, in einen muffigen Gummihandschuh gewickelt, die linke am Telefon. Instant Messenger und WLAN sind tolle Erfindungen. Für zwei Haushalte alleine einen Wocheneinkauf auf die Reihe zu kriegen und dabei den anderen Leute im Aldi auszuweichen: Nicht einfach. An der Kasse den ganzen Verkehr aufgehalten. Die haben da jetzt den Spuckschutz aufgestellt: Eine Plexiglasscheibe (oder was auch immer) trennt die Kunden vom Kassierer. Wer trennt mich von den anderen Kunden?
Nachdem die Einkäufe im Auto verstaut waren, den Karren zurück gebracht und noch mal schnell den Desinfektions-Drücker im Eingang benutzt. Ich hoffe, das Zeug wirkt so gut wie es stinkt. Nach der Heimkunft erst mal Hände geschrubbt und das Gesicht gewaschen. Man will die Kamera ja nicht auch noch infizieren, denn das im Vorgarten blühende Gemüse wollte unbedingt abgelichtet werden:
Danach statt wie sonst immer nur mit der Mutter Rommee zu spielen, den Rasen gemäht. Auch eine Art von Selbstisolation und Social Distancing. Der Rasen hatte es jedenfalls echt nötig: Es war warm und feucht diesen Winter, das Moos steht genau so hoch wie das Gras. Müsste dringend vertikutiert werden, aber nachdem ich in anderthalb Stunden die braune Tonne, einen Beistellsack mit 120l und noch zwei Pappkisten mit Grasschnitt befüllt hatte, wäre für das, was man dabei aus dem Boden zieht, nicht auch noch Platz gewesen.
Die Natur kümmert sich nicht drum, was der Mensch macht. Stattdessen blühen die ersten Kamelien auf, als wäre nichts gewesen. Keine Corona-Kriese. Kein Börsencrash. Keine Flüchtlinge an der griechischen Grenze. Stattdessen Primeln und Osterglocken.
Auch die ersten Insekten krabbeln durch die warme Mittagssonne. Manche sind so klein, dass ich auch mit Nahlinse nicht nah genug ran komme, um ein richtig scharfes Bild hin zu bekommen. Zähl mal wer die Punkte:
Ich kam nach Hause und das Fernsehen diskutiert die Vor- und Nachteile einer "echten" Ausgangssperre. Ich frage mich, wer in der gegenwärtigen Situation überhaupt noch freiwillig unter Menschen geht. Ich bin jetzt nicht der hypochodrischte Mensch, den ich kenne, aber trotzdem habe ich versucht, im Laden möglichst ohne Einzuatmen an den sich stauenden Hamstermassen vorbei zu kommen. Ob es hilft? Die Angestellten waren damit beschäftigt, rote Warnschilder auf den Boden zu kleben: "ABSTAND HALTEN!" Ob es hilft? In den Gängen Leute mit Handschuhen jeglicher Ausführung und um den Mund gewickelter Schals. OB ES HILFT, will ich wissen!
(In deutschen Kellern sollten mittlerweile durchschnittlich 10 Päckchen Nudeln und 20 Familienpackungen Toilettenpapier rum liegen. Ich bräuchte mal neue Dosentomaten. Seit drei Wochen gibt es maximal die teuren mit extra Kräutern, die ich im Allgemeinen ja eher meide, ich würze lieber selber. Habe zum ersten Mal seit, ich weiß nicht? Zehn Jahren? ...Markentaschentücher gekauft, die anderen sind seit Wochen vergriffen. Leute, Allergiker haben nun mal eine Schniefnase bei dem Wetter da draußen, und ihr hortet das Zeug wie Smaug seinen Berg aus Zwergengold? Die Welt ist nicht nur aus den Fugen geraten, manche Menschen haben komplett den Bezug zur Wirklichkeit verloren. Und damit jeden Funken Anstand und Mitgefühl.)
Auf dem Heimweg für 1,15
9€ getankt. Echtes Super, wenn die Welt schon untergeht, kann ich meinem Civic vorher nochmal was Gutes tun. Ständig diese E10-Diät, vielleicht mag er deshalb ja in letzter Zeit nicht so gerne morgens aus der Kältestarre erwachen. Kommenden Donnerstag habe ich einen Termin für Inspektion und TÜV. Und Sommerräder. Falls wir dann noch aus dem Haus dürfen. Ist ein fahrtüchtiges Auto in Zeiten von Corona lebenswichtig? Würden die Ordnungshüter mir ein Ticket ausstellen, wenn ich demnächst die Quarantäne mit angelaufenem TÜV breche, um beim Lidl auf Klopierjagd zu gehen?
Und heute? Die Erde dreht sich noch. Das Wetter ist Scheiße, die Versuchung, vor die Tür zu gehen, hält sich in Grenzen. Mal sehen, wie es morgen wird. Sonntag ist Sonnenschein und Kälte angesagt. Ich würde gerne mal wieder Rad fahren, aber dabei strengt man sich doch mehr an als beim Wandern. Mehr Anstrengung, höherer Lungendurchsatz. Mehr ausgefilterte Schwebstoffe. Pollen, ja, die machen mich ja eh fertig. Und Viren? Wer weiß. Ich lasse es für's Erste bleiben. Man hat eine Verantwortung für sich und andere. Hier auf dem Dorf ist es einfach, sich zu isolieren: Man kann durchaus vor die Tür und zwei Stunden durch den Wald laufen, ohne eine Menschenseele zu treffen. Menschen in der Stadt haben es nicht so leicht. Ich verstehe den Drang, raus zu wollen.
Die Zukunft? In Italien gehen die Särge aus. China schickt Hilfe nach Europa. Italien ist eine Woche vor uns, was die Fallzahlen angeht. Ob die Chinesen uns auch helfen, wenn hier die Zivilisation untergeht? Was ist in Ländern, in denen die Regierung nicht fähig (oder gewillt) ist, etwas zu unternehmen, sondern stattdessen, konfrontiert mit Fernsehkameras, nicht mal mehr in der Lage ist, den Teleprompter abzulesen? (Wann immer 45 zur Zeit sein Volk direkt anspricht, fällt der DOW um 5-10%.) Währenddessen werden auch hier in Rekordzeit neue Intensivstationen aus dem Boden gestampft. Doch Personal, um diese auszustatten, ist dünn gesät. Vorher schon schlecht bezahlt und am Rande des Kollaps, kann ich mich nur in Ehrfurcht verneigen, wenn unter dem derzeitigen Druck nicht Pfleger und Ärzte reihenweise ausfallen. Triage? Ich könnte das nicht.
Zum Schluss: Positiv denken! Die Menschheit wird auch das Virus überleben. In einem Jahr werden wir zurück blicken und drüber lachen. 2020, das Jahr, in dem die Zivilisation endet? Ich glaube nicht. Ein Weckruf, dass wir nicht ewig so weiter machen können wie bisher? Bestimmt.