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Zeiss Ikon Icarex 35 S mit Tessar 50/2.8

Gestern Abend, während ich nicht zu Hause war, kam dann diese einigermaßen gut erhaltene Zeiss Ikon Icarex 35S. Auf dem kleinen Schild an der Seite verkündet sie stolz, eigentlich eine Voigtländer zu sein. Stimmt auch irgendwie: Nach dem, was ich über diese Kamera gelesen habe, wurde sie tatsächlich im Hause Voigtländer entwickelt.

Wenn man sie sich so anschaut, kriegt man direkt diesen typischen 1960er-Vibe. Klobig, eckig, unsinkbar wie die Titanic. Man kann kaum glauben, dass diese Kamera von 1969 stammt. Und da ist das Problem, das die Icarexe seit ihrer Markteinführung Mitte der 1960er geplagt hat: Sie waren einfach viel zu spät dran. Zu dieser Zeit haben die Japaner bereits Kameras gebaut, die für den gleichen Preis die Hälfte gewogen haben, eine Automatik mit brachten und nicht aussahen, als hätte jemand die goldenen 1920er im Kopf gehabt, als er sie aufs Reißbrett gezeichnet hat.


Heutzutage verleiht dieses damals veraltete Design dem ganzen einen extra Retro-Charme. Dieser schnuckelige halb-lange Transporthebel, die gezackten Einstellräder, das kleine Belichtungsmesser-Fenster mit der Lupe und der Nadel darin. Chrom wohin man schaut. Sieht ziemlich edel aus. Ehrlich: Wegen ihrer Innovatitvität habe ich nicht 11 Euro plus Kleingeld für sie ausgegeben - ein Schnäppchen, das dadurch bedingt ist, dass der Batteriefachdeckel fehlt. (Der Belichtungsmesser selber scheint aber zumindest irgendein Leben in sich zu haben, denn wenn ich eine Batterie an die Kontakte halte, zuckt er zumindest schon mal.) Das macht aber nichts, denn das gute Stück ist ansonsten komplett mechanisch und kann somit auch ganz ohne Batterie verwendet werden, solange man einen externen Messer hat - aka. Smartphone. ;-)

Der andere Grund, weshalb ich hier zugeschlagen habe, ist die historische Signifikanz. Diese Kamera, bzw. die ganze Icarex-Serie, war das letzte Aufbäumen einer dem Untergang geweihten (west-)deutschen Tradition. Voigtländer und Zeiss waren bis hierher die großen Namen im Kamera-Geschäft, die kaum ausländische Konkurrekz zu fürchten hatten. Ja, wer etwas günstigeres suchte, griff zu den ostdeutschen Zeissen und Pentakons und sowas, aber wer etwas auf sich hielt und das nötige Kleingeld hatte, kaufte sich eine "echte" Zeiss. Aber bald würden Namen wie Nikon und Canon und Pentax mit ihren Wechselbajonetten und TTL-Messern, die Anfang der 1960er auf den Markt kamen, die Welt der Fotografie regieren. Die Icarex war der letzte Versuch, wieder Fuß zu fassen, ohne dass die Verantwortlichen sich dem nahenden Untergang überhaupt bewusst waren. Man ging davon aus, dass der Ruf der deutsche Wertarbeit und überhaupt ein auf der Unterseite eingestanztes "Made in Germany" weiterhin ausreichend wäre! Schließlich hatte man schon bei Einführung der ersten Icarex 35 (ohne S oder CS) nachgegeben und endlich einen brauchbaren Bajonettanschluss verbaut. Auf das M42-Experiment - seit Jahrzehnten der Standard bei der Konkurrenz aus dem Osten - ließ man sich erst später ein, und dann auch nur halbherzig, indem man nebenbei das eigene BM der Icarex weiter führte.


So neumodische Dinge wie Halb- oder gar Voll-Automatik an einer Spiegelreflex, dass war damals das Äquivalent zum Neuland, dem man eher misstrauisch begegnete und lieber auf die alt bewehrte Technik zurückgriff. Frei nach dem Motto: "Das war schon immer so, ergo ist das auch gut so!" Während in Ostdeutschland Innovation durch die herrschende Planwirtschaft gehemmt wurde, verzichtete man im Westen aus missverstandenem Stolz und Hochmut ganz bewusst darauf.

All das führte dazu, dass man zwar eine recht solide Kamera produzierte, die auch nach 50+ Jahren noch ziemlich problemlos zu funktionieren scheint - Film liegt drin, wird die Tage getestet! -, die aber eben nicht mehr "der heiße Scheiß" war. Der Rest ist Geschichte: Die 1970er hat weder Zeiss Ikon noch Voigtländer überlebt, zumindest nicht in diesem Marktsegment.


Nach dieser kleinen Geschichtsstunde aber jetzt ein bisschen Technik: Die Icarex 35S hat einen seitlich laufenden Schlitzverschluss aus Tuch, was bei einer schnellsten Belichtungszeit von 1/1000s schon nicht schlecht ist.Das muss man ach erst mal konstruiert bekommen. Die schnellste Blitz-Synchronisation ist allerdings nur 1/45s, bedingt durch den prinzipbedingt doch recht langsamen Tuchvorhang. Die langsamste Zeit ist (neben dem B-Modus) 1/2s, was auf jeden Fall ausreichend ist.

Der TTL-Belichtungsmesser lässt sich von ISO/ASA 25 (DIN 15°) bis 1600 (33°) in Drittelstufen einstellen. Das ist ein beachtlicher Umfang, denn ich wüsste nicht, ob es damals überhaupt schon so schnelle Filme gab. Beide Werte werden je rechts bzw. links unterhalb des Einstellrads, das sich um den Auslöser herum befindet, in zwei kleinen Fenstern angezeigt. Die Zeit stellt man in ganzen Stufen unterhalb des Transporthebels ein. Dieser hat übrigens einen sehr langen Weg, bestimmt gefühlte 270°. Auf der anderen Seite des Suchers gibt es ein kleines Fenster mit einer Belichtungsmessernadel, falls man ein Stativ und Drahtauslöser verwendet und nicht durch den Sucher schauen kann oder will. Dessen Lupe ist zugleich ein kleiner Hebel, mit dem man den Sucher abdunkeln kann, sodass kein Licht von hinten hinein fällt - ebenfalls ganz praktisch bei der Verwendung eines Stativs. Rund um den Rückspul-Hebel kann man noch einstellen, welche Art von Film man eingelegt hat, z.B. einen Negativ- oder einen IR-Film, oder ob man bei Blitzlicht, outdoors oder bei Lampenbeleuchtung belichtet hat.

Auf der Rückseite gibt es noch ein kleines Fensterchen, das anzeigt, wie weit der Film durchgespult ist. Hier handelt es such tatsächlich um einen richtigen Bildzähler. Auf der Vorderseite gibt es noch den kleinen Hebel für den Selbstauslöser, während auf der anderen Seite des Bajonett-Anschlusses noch ein Drucktaster zum Abblenden des Objektivs ist. Die Kamera macht nur altmodisches Stop-Down-Metering, um die für die gewünschte Blende korrekte Belichtung einzustellen, muss man also abblenden und dann die Nadel in die Mitte bugsieren. Ob hier ein minimaler Defekt an meiner Version dieser Kamera vorliegt, weiß ich nicht: Die Blende schließt sich auch ab ca. f/5,6 auch ohne, dass ich die Taste drücken würde. Das sollte wahrscheinlich nicht so sein, nehme ich mal an. Sollte aber auch so gehen. Ich nehme an, die Feder, die den Knopf raus drückt, ist ein bisschen ausgeleiert.


Das Tessar ist übrigens nicht geklickt, was ganz praktisch sein kann, um eine perfekte Belichtung hin zu bekommen. Ist für mich aber eher gewöhnungsbedürftig, da ich es gewohnt bin, die Blende nach Gefühl (also Klicks) einzustellen. Immerhin wird die gewählte Blende wird im Sucher eingeblendet. Die Zeit leider nicht.

Interessant ist die Frage, ob das Tessar die gleichen Bilder macht, wie das andere, ostdeutsche Tessar, dass ich mit der Praktica F.X2 bekommen habe. Ich gehe mal davon aus, dass die Konstruktion die gleiche ist - 4 Gruppen -, Tessars gab es schließlich schon in den 1930ern.

Insgesamt liegt die Kamera sehr schwer in der Hand, was aber den Vorteil hat, dass sie wahrscheinlich unzerstörbar sein sollte. Diese hier hat nur eine kleine Beule im Blech neben dem Sucher und ein paar Lackabplatzer. Nachdem ich den gröbsten Schmutz weg gerubbelt habe, sieht sie eigentlich ganz schick aus. Bin mal gespannt auf die Fotos. Habe jetzt mal einen Foma 400 rein gelegt, es ist ja doch mal Herbst geworden und so besonders Lichtstark ist das Tessar ja auch nicht. ;-)